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4. März 2016

Blog

Secondas und Secondos: Lasst Euch einbürgern!

Nach dem klaren Nein zur Durchsetzungsinitiative sollten sich Secondos und Secondas mit dem Thema Einbürgerung befassen. 

Demo DSI

Das klare Nein der Schweizer Stimmbürgerinnen und Stimmbürger zur sogenannten Durchsetzungsinitiative bei rekordhoher Stimmbeteiligung ist ein grossartiger Erfolg einer breiten Bewegung, die auch von den Gewerkschaften mitgetragen wurde. Das Nein hat dafür gesorgt, dass rechtsstaatliche Regeln auch in Zukunft für alle gelten. Und dass es die blocheristische SVP mit der ständigen Hetze gegen Menschen mit ausländischem Pass definitiv zu weit getrieben hat.

Der Abstimmungskampf hat aber auch deutlich vor Augen geführt, wie gefährlich es in der Schweiz für Menschen inzwischen geworden ist, die kein Schweizer Bürgerrecht haben. Menschen, die in der Schweiz geboren und aufgewachsen sind oder seit langem hier leben, sind eigentlich Inländer, unabhängig von der Farbe des Passes. Ähnlich wie Schweizer Bürgerinnen und Bürger waren sie lange Zeit vor einer Ausweisung aus der Schweiz geschützt. Zwar nicht rechtlich, aber doch faktisch.

Das ist heute nicht mehr so.
Die in den letzten 25 Jahren unter dem Eindruck des Aufstiegs der SVP vorangetriebene Verschärfung des Ausländerrechts und die wiederholten Angriffe auf grundrechtliche Errungenschaften richten sich inzwischen direkt auch gegen Menschen, die in der Schweiz geboren und aufgewachsen sind und aus unterschiedlichsten Gründen keinen Schweizer Pass besitzen. Spätestens der Abstimmungskampf zur SVP-Durchsetzungsinitiative hat unmissverständlich klar gemacht: In der Schweiz ohne Schweizer Pass zu leben, ist gefährlich.

Mit dem Bürgerrecht gewährleisteten die Nationalstaaten nicht nur das Recht auf die Ausübung politischer Rechte, sondern auch das Anrecht auf diplomatischen Schutz und – vor allem und in erster Linie – den Schutz vor Ausweisung. Diese ursprüngliche Funktion des Bürgerrechts wird heute wieder hoch aktuell. Das Grundrecht, dort zu leben, wo sie geboren sind und ihr ganzes bisheriges Leben verbracht haben, ist für Menschen ohne Schweizer Bürgerrecht nicht mehr garantiert.

Für die sogenannten Secondos und Secondas ohne Schweizer Pass stellen sich deshalb völlig neue Fragen. Und auch für ihre Eltern. Und für die ganze schweizerische Gesellschaft. Die Schweiz gehört als wirtschaftlich erfolgreiches Land zu den Einwanderungsländern. Versuche, die Schweiz als Nicht-Einwanderungsland zu definieren, ändern an dieser Realität nichts. Dass in der Schweiz derart viele Menschen leben, die hier aufgewachsen sind, viele von ihnen schon seit Beginn ihres Lebens, und trotzdem nicht über den Schweizer Pass verfügen, ist die Folge hoher Hürden für die Einbürgerung. Es sind nicht nur rechtliche Hindernisse, die die Einbürgerung erschweren. Es ist auch eine weit verbreitete Mentalität der Abschottung, welche Secondos spüren lässt, dass sie hier wenig willkommen sind. Oder höchstens als Bürgerinnen und Bürger zweiter Klasse.

Beim Schweizer Einbürgerungsrecht hat sich in den letzten Jahrzehnten einiges bewegt. Nicht mehr nur Kinder von Schweizer Vätern, sondern auch von Schweizer Müttern werden automatisch Schweizer Bürgerinnen und Bürger. Ein grosses Hindernis bei der Einbürgerung war das Verbot des doppelten Bürgerrechts. Es ist vor zwanzig Jahren abgeschafft worden. Inzwischen kann gegen verweigerte Einbürgerungen auch Beschwerde geführt werden. Das Beschwerderecht ist vor Bundesgericht erstritten worden.


Das neue, noch nicht in Kraft gesetzte Bürgerrecht  beinhaltet sowohl Rückschritte wie auch Fortschritte. Positiv sind seit der letzten Revision die gegenüber früher deutlich tieferen Gebühren für die Einbürgerung. Negativ dagegen sind neue, nun auch formell verankerte Integrationserfordernisse, die je nach Praxis zu schwer überwindbaren Hindernissen werden können. Oder die – in Verbindung mit ausländerfeindlichen Affekten – gar zu neuer Diskriminierung führen können. Insgesamt sind die Hürden für Einbürgerung, und insbesondere auch die Wohnsitzfristen, noch immer weit höher als in anderen Ländern. Albert Einstein wurde seinerzeit nach fünf Jahren Schweizer Bürger. Von solchen Zeiten sind wir weit entfernt.

Wichtiger aber noch als die gesetzlichen Bestimmungen wird in den kommenden Jahren die Praxis sein. Hier wird sich entscheiden, wie die Schweiz der Zukunft aussieht. Secondas und Secondos – junge Menschen, die in der Schweiz aufwachsen oder aufgewachsen sind – spielen eine entscheide Rolle dabei, wie diese Schweiz der Zukunft aussieht. Sie sind die Zukunft unseres Landes, zusammen mit allen jungen Menschen, die einen Schweizer Pass besitzen.

Wir rufen alle Secondas und Secondas ohne Schweizer Pass dazu auf, sich jetzt ernsthaft mit einer Einbürgerung auseinanderzusetzen. Gefordert sind zunächst die Eltern von Kindern mit ausländischer Staatsangehörigkeit. Wir rufen diese Eltern dazu auf, alles in ihrer Möglichkeit stehende tun, dass ihre Kinder das Schweizer Bürgerrecht erwerben, sobald sie die Voraussetzungen dafür erfüllen. Gefordert sind aber auch die Städte und Gemeinden. Es braucht Kampagnen und Aktionen, die dafür sorgen, dass die hier aufwachsenden oder aufgewachsenen Jungen eingeladen werden, Schweizer Bürgerinnen und Bürger zu werden.

Wir rufen alle, die sich an der Kampagne gegen die SVP-Durchsetzungsinitiative beteiligt haben, dazu auf, sich dafür einzusetzen, dass sich ihr Kanton, ihre Gemeinde positiv zur Einbürgerung junger Menschen verhält. Dort, wo die SVP-Initiative gestern verworfen wurde, sind die Voraussetzungen dafür grundsätzlich günstig. Eine positive Haltung unserer Institutionen und Behörden zur Einbürgerung der hier aufwachsenden Jungen kann in der Schweiz vieles verändern. Es braucht dafür Worte, sie sind nicht zu unterschätzen, aber vor allem auch Taten.

Gefragt ist schliesslich die gesamte Gesellschaft als Ganzes. Der «Dringende Aufruf an die Schweizerinnen und Schweizer» hat gezeigt, welche enorme positive Dynamik Aktionen und Initiativen mitten aus der Gesellschaft erzeugen können. Bei den gegenwärtigen Verhältnissen wäre es falsch, auf politische Entscheide in Bundesbern zu warten. Die schweizerische Gesellschaft in ihrer Vielfalt ist der Politik in dieser Hinsicht weit voraus.

Die Gewerkschaften müssen und werden dazu wichtige Beiträge leisten. Die Gewerkschaften organisieren die hier arbeitenden Menschen unabhängig von der Farbe des Passes. Dieses Prinzip wird in Zukunft noch wichtiger. Der Druck auf die Rechte der Menschen ohne Schweizer Pass verpflichtet uns dazu, uns noch stärker für ihre Rechte einzusetzen. Eine Einbürgerungskampagne für die Jungen, die hier aufwachsen, ist jetzt – nach dem Abstimmungsresultat vom Wochenende – erst recht ein Gebot der Stunde. Sie kann die Schweiz im Positiven verändern.