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19. Juni 2020

Blog

Eine neue Dynamik des Sozialstaats

Die beschlossene Überbrückungsleistung für ausgesteuerte ältere Arbeitslose ist seit langer Zeit wieder einmal ein sozialpolitischer Fortschritt. 



Heute hat das Parlament eine neue Sozialversicherung beschlossen: Die Überbrückungsleistung für ausgesteuerte Arbeitslose ab 60 Jahren, die trotz langer Stellensuche keine Arbeit mehr gefunden haben. Auch wenn die Leistungen dabei bescheiden ausgestaltet sind, so bedeutet es doch: Diesen Menschen bleibt der Absturz in die Sozialhilfe in Zukunft erspart. 


Das ist seit langer Zeit wieder einmal ein sozialpolitischer Fortschritt – nach Jahren, die von ständigen Angriffen auf den Sozialstaat geprägt waren. 

In den letzten Monaten hat die Corona-Pandemie klar gemacht, dass es ohne einen leistungsfähigen Sozialstaat nicht geht. Eine starke Arbeitslosenversicherung und die Möglichkeit, Kurzarbeit zu beantragen, hat verhindert, dass es wie in den USA zu einer Massenarbeitslosigkeit gekommen ist. Vielen Selbständigen ist rasch geholfen worden, via die Erwerbsersatzordnung und mit zinslosen Krediten. Ohne starke Sozialversicherungen wäre es zu wirtschaftlichen und sozialen Katastrophen gekommen. 

Bereits vor der Corona-Krise hatte sich, abseits der Medienaufmerksamkeit, einiges verändert. Fast unbemerkt beschloss das Parlament im Dezember einen Betreuungsurlaub für schwerkranke Kinder und klärte gleichzeitig die Urlaubsansprüche für die Betreuung Angehöriger. Bemerkenswert ist auch, dass die vor kurzem beschlossenen Änderungen bei den Ergänzungsleistungen und in der Invalidenversicherung unter dem Strich keine Abbauvorlagen sind. Auch das eine Kehrtwende - alle Revisionen der Invalidenversicherung in den letzten 20 Jahren waren Abbauvorlagen gewesen.

Die Auseinandersetzungen auf der grössten Baustelle des Sozialstaats, jener der Altersvorsorge, stehen vor einer neuen Runde. Seit dem knappen Scheitern von Altersvorsorge 2020 vor drei Jahren sind immerhin zwei wichtige Errungenschaften dieses Reformpakets realisiert: die Zusatzfinanzierung der AHV in der Grössenordnung von zwei Milliarden Franken und die Weiterversicherungsmöglichkeit in der beruflichen Vorsorge ab 58 Jahren auch bei einem Stellenverlust. Wie es in der Altersvorsorge weitergeht, ist offen. Hauptproblem sind die sinkenden Renten der Pensionskassen, bedingt durch die Tiefzinsen an den Kapitalmärkten. Hier sind dringend Antworten nötig. Die Initiative des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes für eine 13. AHV-Rente macht einen ernstzunehmenden Vorschlag. Zusammen mit Massnahmen gegen die für viele Haushalte untragbar gewordenen Krankenkassenprämien wird das die wichtigste sozialpolitische Auseinandersetzung der kommenden Jahre.

Der Sozialstaat gehört zu den grössten Errungenschaften des 20. Jahrhunderts. Im 21. Jahrhundert darf er nicht abgebaut werden. Der Sozialstaat muss - ausgerichtet auf die heutigen Bedürfnisse – gezielt weiterentwickelt werden.