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11. Juni 2015

Blog

Schützt die Privatsphäre!

Unser Nachrichtendienst will wie die NSA sein. Paul Rechsteiner erläutert im Ständerat, weshalb das falsch ist. 

Computerkabel


Wir wissen es: Eine längere Verweildauer im Parlament stösst nicht immer auf ungeteilten Beifall. Sie hat aber den Vorteil, aus eigener Anschauung und Erfahrung grössere Zeiträume überblicken zu können. In längeren Zeiträumen zu denken ist hier, bei dieser Vorlage für ein Nachrichtendienstgesetz, umso nötiger, als damit für die nachrichtendienstliche Arbeit des Bundes im Vorfeld von Straftaten völlig neue Wege beschritten werden sollen. Es sollen nämlich die zentralen Prinzipien über Bord geworfen werden, die bisher in der Schweiz für die zivilen Nachrichtendienste gegolten haben. Mit unabsehbaren Folgen für unser Land. Und für seine Bürgerinnen und Bürger.

Der Fichenskandal

Gestatten Sie mir also einen Blick zurück. Vor 25 Jahren deckte eine parlamentarische Untersuchungskommission, die PUK 1, den Fichenskandal auf, die Existenz von 900‘000 sogenannter Fichen des Staatsschutzes in unserem friedlichen Land. Hunderttausende von Bürgerinnen und Bürger waren während der Jahrzehnte des Kalten Krieges registriert worden. Dagegen erhob sich eine breite Volksbewegung. Diese Bewegung erkämpfte die Einsicht in die Staatsschutzakten, ein einmaliger Vorgang im damaligen Europa. Ein Wind der Freiheit wehte durch die Schweiz.

Zwar wurde die präventivpolizeiliche Tätigkeit danach nicht abgeschafft, wie es eine Volksinitiative verlangt hatte. Das neue Staatsschutzgesetz, das sogenannte BWIS, setzte der Staatsschutztätigkeit bei der Abwägung der Werte der Freiheit und der Sicherheit aber klare Schranken. Der präventive Staatsschutz sollte sich auf alle irgendwie öffentlich zugänglichen Quellen stützen können, unter Einschluss der Ansprache von Behörden und Personen. Wo aber in die grundrechtlich geschützten Kernbereiche des Persönlichkeitsschutzes eingegriffen wird, bestand und besteht der Vorbehalt des gerichtspolizeilichen Ermittlungsverfahrens, des Strafverfahrens.

Kollers Mahnung

Es mutet mich eigenartig an, nach der Debatte über den Umgang mit menschenrechtswidrigen Volksinitiativen in kurzer Zeit zum zweiten Mal den seinerzeitigen Justizminister Bundesrat Koller als Zeugen bemühen zu müssen, standen wir uns doch seinerzeit als Kontrahenten gegenüber. Justizminister Koller verteidigte im Parlament den Entscheid des damaligen Bundesrates, im neuen Staatsschutzgesetz auf den Einsatz von Zwangsmitteln verzichten zu wollen, mit folgenden Worten:

«Die Telefonüberwachung oder der Einsatz von Minispionen und Wanzen sind natürlich gravierende Eingriffe in die Geheimsphäre der Zielpersonen. Was unter dem Gesichtspunkt des Persönlichkeitsschutzes aber noch schwerer wiegt: Telefonabhörungen richten sich nicht nur gegen die Zielpersonen, sondern sie betreffen indirekt auch eine grosse Anzahl von Personen, die mit diesen tatsächlich Kontakt aufnehmen. Das sind die Gründe, weshalb der Bundesrat der Überzeugung ist, dass wir derartig gravierende Mittel wirklich nur im Rahmen von gerichtspolizeilichen Verfahren – nach Eröffnung eines Verfahrens mit allen rechtsstaatlichen Garantien – durchführen sollten. Wir verzichten ja nicht darauf, sondern schieben dieses gravierendste Mittel im Einsatz nur hinaus, bis ein konkreter Tatverdacht vorliegt und ein gerichtspolizeiliches Verfahren eröffnet wird (...) Was wir hier während der Beratung des ganzen Gesetzes immer wieder machen müssen, ist eine Güterabwägung. Wer meint, wir würden uns sicherheitspolitisch fast in einer Art Notlage befinden, der wird natürlich auch für dieses Mittel sein. Aber der Bundesrat nimmt eine andere Beurteilung der Lage vor. Als wir Ihnen diese Vorlage präsentiert haben, war für uns vor allem klar, dass die präventive Polizei einerseits unabdingbar nötig ist, dass wir auf der anderen Seite aber auch alles tun müssen, damit die Übertreibungen und die Fehler der Vergangenheit sich in Zukunft nicht wiederholen.»

Nichts hat sich geändert

Diesen Überlegungen des seinerzeitigen Vorstehers des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartementes, mit denen er sich vor 20 Jahren im Parlament und auch in der Volksabstimmung durchgesetzt hat, ist eigentlich nichts beizufügen. Sie hatten auch Bestand, als nach Nine Eleven, nach dem 11. September 2001, zum ersten Mal versucht wurde, mit dem BWIS II auch die Nachrichtendienste mit den dem Strafverfahren vorbehaltenen geheimen Ueberwachungsmassnahmen auszurüsten. Die Vorlage wurde bekanntlich im Frühjahr 2009 an den Bundesrat zurückgewiesen, weil das Parlament zu diesem einschneidenden Schritt nicht bereit war.

Was hat sich seit 2009 geändert, ausser dass die Zuständigkeit für die Vorlage nun zum VBS, zu Bundesrat Maurer gewechselt hat? Nichts, was einen derartigen Ausbau des Überwachungsstaates rechtfertigen könnte. Niemand bestreitet, dass die Gefahren, wie sie beispielsweise vom Islamischen Staat ausgehen, bekämpft werden müssen. Dafür ist aber, wo es einen Verdacht und den Bedarf nach dem Einsatz geheimer Überwachungsmittel gibt, wie bisher das gerichtspolizeiliche Verfahren, also die Bundesanwaltschaft da. Strafrechtliche Mittel sind machtvolle Instrumente. Weshalb aber auch die Nachrichtendienste ohne Verdachtsmomente in die grundrechtlich geschützten Privat- und Intimbereiche eindringen können sollen, ist bisher nicht nachvollziehbar begründet worden. Strafverfahren sind zwar schwerwiegende Eingriffe in das Leben der Betroffenen. Aber sie folgen berechenbaren, über Jahrzehnte, Jahrhunderte hinaus entwickelten Regeln, die den Schutz der öffentlichen und der privaten Interessen soweit möglich gewährleisten.

Wenn jetzt beklagt wird, dass die bisherigen nachrichtendienstlichen Mittel nicht genügen, dann wird übersehen, dass sich diese seit den Neunziger-Jahren auch ohne Gesetzesänderung faktisch enorm ausgeweitet haben, allein durch die technische Entwicklung. Das Internet hat gegenüber früher zu einer Multiplikation der offen verfügbaren Informationen geführt. Mehr denn je fehlt es den Nachrichtendiensten nicht an der Menge der verfügbaren Daten. Anspruchsvoll bleibt die vernünftige und sinnvolle Bewertung der Informationen. Dafür braucht es aber weder ein neues Gesetz noch eine Gesetzesrevision.

Sprengt alle Dimensionen

Alle bisher vorstellbaren Dimensionen sprengt der Gesetzesentwurf schliesslich mit der sogenannten Kabelaufklärung, mit dem der Nachrichtendienst in Zukunft auf die gesamte private Kommunikation im leistungsgestützten Internet greifen will. Weil das gegenüber den bisherigen geheimen Überwachungsmethoden nochmals einen Quantensprung mit unabsehbaren Folgen bedeuten würde, stelle ich dazu noch einen speziellen Streichungsantrag, falls der Nichteintretensantrag abgelehnt wird.

Ich habe nicht übersehen, dass die vorberatende Kommission versucht hat, die Kontrollinstanz zu stärken. Das ist sicher positiv. Diese Kontrollen ändern aber nichts an den freiheitsbedrohenden neuen geheimen Zwangsmitteln. Das war auch bei der amerikanischen NSA nicht anders. Die Kontrollinstanzen konnten im Ergebnis wenig bewirken. Der Gesetzgeber des BWIS hat sich deshalb vor zwanzig Jahren bewusst für die Beschränkung Mittel des Nachrichtendienstes und gegen die Zulassung geheimer Überwachungsmethoden verbunden mit Kontrollen entschieden. Bei diesem bewährten und gut begründeten Entscheid sollten wir bleiben.

Wanzen, Trojaner, Kabelaufklärung

Wir stehen somit für die Schweiz nach zwanzig Jahren wieder vor einem wichtigen Grundsatzentscheid. Er ist wegen der enormen Zunahme der Überwachungsmöglichkeiten bedingt durch die technologische Entwicklung sogar noch einschneidender als damals. Führen die Enthüllungen von Edward Snowden über die zuvor unvorstellbaren Dimensionen der flächendeckenden Überwachung sämtlicher Kommunikationssysteme dazu, dass nun auch unser Nachrichtendienst im Nachvollzug mit sämtlichen Überwachungs- und Abhörmöglichkeiten unter Einschluss von Wanzen, Trojanern und der Funk- und Kabelaufklärung ausgestattet wird?

Oder setzen wir nicht besser darauf, dass die Schweiz ein Hort der Sicherheit bleibt - der ist sie zweifellos -, aber auch der Freiheit? Ein Land, das die Freiheit der Lebensführung und der Kommunikation, die Privatheit und die Privatsphäre, die privacy, aktiv schützt. Und deshalb der Überwachung, auch jener der Nachrichtendienste, Grenzen setzt. Das nicht nur zum Schutz der Bürgerinnen und Bürger. Sondern durchaus auch als Standortvorteil.

Das sind zusammengefasst die Gründe, weshalb ich Ihnen beantrage, auf das Projekt eines neuen Nachrichtendienstgesetzes nicht einzutreten. Weil es die bewährten Prinzipien in der Abgrenzung der präventiv tätigen Nachrichtendienste von der Strafverfolgung über Bord wirft. Weil es falsch ist, ohne den geringsten Tatverdacht mit Wanzen und Trojanern oder anderen geheimen Überwachungsmitteln in die grundrechtlich geschützte Privatsphäre einzudringen. Und weil mit der Kabelaufklärung die Möglichkeit zur flächendeckenden Massenüberwachung der gesamten leitungsgestützten Datenströme geschaffen werden soll, die nach dem Vorbild der NSA alles übersteigt, was bisher vorstellbar war.